Wieviel Kreuzfahrt verträgt eine Stadt?
Warme Frühlingsluft strömt durch die Gassen der mittelalterlichen Altstadt. Die Sonne blinzelt hinter den Bergen hervor auf die Sandsteinmauern und die charmanten Plätze. Noch sind sie leer, und das Vogelgezwitscher füllt den Morgen. Doch langsam wacht die Stadt auf. Kellner postieren sich mit ihren Speisekarten vor den Restaurants, in den Souvenirläden werden die immer gleichen Waren ordentlich drapiert, Touristenführer versammeln sich am Hafenbecken. Denn gerade hat die »Costa Deliziosa« im Hafen von Kotor angelegt.
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Mitten im funkelnd blauen Wasser vor der malerischen Bergkulisse liegt das Kreuzfahrtschiff. 294 Meter lang, 32 Meter breit. Zwölf Decks ragen vor dem Kai in die Höhe. Dann werden die Gangways heruntergelassen. 2.800 Passagiere auf Landgang und Erkundungstour in Kotor.
Es ist das vierte Schiff, das hier in dieser Woche vor Anker geht. 516 sind insgesamt für 2019 geplant – im Sommer sind das dann oft vier pro Tag.
Früher einmal war jedes Kreuzfahrtschiff in der Bucht von Kotor eine Erwähnung in den abendlichen Nachrichten wert. Sie zeigten, dass es vorangeht. Mit den Touristen kam das Geld in die Bucht. In ihr fanden die Reiseveranstalter eine idyllische Lage für ihre Schiffe, eine Stadt, die einer Postkarte entsprungen sein könnte, und keine Konkurrenz durch den Massentourismus wie anderswo am Mittelmeer.
Mit den Kreuzfahrtschiffen kommt das Geld
Kotor war unbefleckt von Pauschalreisen, Strand-Touris oder Party-Urlaubern. Also kamen die Kreuzfahrtschiffe. „Die meisten Menschen, die ich kenne, profitieren von den Touristen“, sagt Tourguide Oki Vlaovic, „wenn nicht direkt, dann zumindest indirekt.“ Vlaovic lehnt im Schatten der „Costa Deliziosa“ an einer Absperrung, in der linken Hand eine Mappe mit seinen Ausflugstipps.
Auch er verdient seinen Lebensunterhalt mit den Passagieren der Kreuzfahrtschiffe, wenn er sie mit auf Touren zu den Sehenswürdigkeiten in der Umgebung nimmt. Bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 512 Euro stellt der Tourismus für die Einwohner Montenegros eine existenzielle Verdienstmöglichkeit dar. „Mittlerweile habe ich das Gefühl, jeder zweite ist hier ein Guide“, so Vlaovic. Er hat miterlebt, wie sich die Stadt an die Bedürfnisse der Besucher über die Jahre angepasst hat. Wohnhäuser wurden zu Pensionen, Kneipen zu schicken Restaurants und Buchhandlungen zu Souvenirläden.
Doch für die Menschen, die nicht am Tourismus verdienen, sind die Scharen an Besuchern kein Segen. „Ein Freund von mir, ein alter Professor, wohnt hier schon sein Leben lang. Und nun traut er sich kaum noch aus dem Haus, wenn ein Schiff im Hafen liegt“, erzählt Vlaovic. „Durch die Menschenmengen in den Gassen möchte er sich nicht quetschen, und der Verkehr auf der einzigen Straße durch die Stadt kommt oft zum Erliegen.“ Hinter vorgehaltener Hand spricht man gar von Overtourism, und Vergleiche werden gezogen zur kroatischen Hafenstadt Dubrovnik, wo die Massen an Touristen gar deren Status als Unesco-Welterbe gefährdeten.
Die Gefahr liegt in der Luft
Doch nicht nur die Touristen selbst können zum Problem werden. Während die Schiffe in der Regel nur von morgens bis abends in der Bucht liegen und danach wieder verschwunden sind, ist die Umweltbelastung durch sie permanent. Dass der Schadstoffausstoß der gigantischen Schiffe ohnehin besorgniserregend hoch ist, dürfte kaum noch infrage gestellt werden. Doch durch die Berge, welche die Bucht und den Fjord umgeben, verflüchtigen sich die Emissionen nicht wie über dem offenen Meer. „Gerade wenn es bewölkt ist, hängen die Abgase hier wie eine Decke über der Stadt“, berichtet Vlaovic.
Von der „Costa Deliziosa“ bleibt dann mit Blick auf die Umwelt ein fader Beigeschmack. Im Nabu-Kreuzfahrt-Ranking schneidet das italienische Schiff denkbar schlecht ab. Es fährt ohne Abgastechnik, die über gesetzliche Vorgaben hinausreicht, und selbst noch in der Bucht mit umweltschädlichen Schweröl, das in anderen Häfen längst verboten ist.
Das ist auch Ana Nives Radovic, Leiterin der Tourismusbehörde in Kotor, bewusst: „Dass die Schiffe hier mit Schweröl fahren dürfen, müssen wir schleunigst ändern. Niemand will diesen Ort zerstören. Aber auf die Kreuzfahrtschiffe sind wir angewiesen.“ Für Radovic gilt es nun mehr denn je, eine Balance zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit zu finden: Ein erster Ansatz sei es, die Termine der Kreuzfahrtschiffe gleichmäßig über das Jahr zu verteilen und die Off-Season zu stärken. „Wenn im Winter die Touristen ausbleiben, müssen auch die Läden schließen. Wir wollen keine Sommer-Destination werden.“
Stattdessen soll der Umsatz aus dem Tourismus nachhaltig in die lokale Gemeinschaft investiert werden, etwa in Bildungs- oder Kulturprojekte. „Wir können in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn jeder in der Gemeinschaft von den Touristen profitiert. Selbst diejenigen, die eigentlich nichts mit ihnen am Hut haben“, sagt Radovic.
Montenegro hat viel mehr zu bieten
Wie soll also die Zukunft von Kotor aussehen? Während die Stadt fleißig mit neuen Hotelanlagen und Strandabschnitten auf die Besucherzahlen reagiert, denkt Radovic schon an ein mögliches Ende der Entwicklung: „Wir erleben hier einen richtigen Boom, das kann in 20 Jahren aber schon wieder anders aussehen. Deshalb versuchen wir, langfristig umzudenken: Wir wollen die Kreuzfahrttouristen davon überzeugen, wiederzukommen. Und dann nicht nur für einen Tag, sondern gleich für eine oder zwei Wochen.“
Als Tourguide begrüßt auch Vlaovic diese Ausrichtung. Er hebt den Kopf und blickt in die Sonne hinter den Bergen: „Dort oben, etwa eine Stunde von hier, befindet sich der Lovćen-Nationalpark, eine wunderschöne Berglandschaft, ganz anders als hier. Doch das ist den meisten Kreuzfahrttouristen, die nur für einen Tag hier sind, schon zu weit.“
Vlaovic holt einen Flyer aus seiner Mappe, der einen Canyon zeigt: „Hier, die Morača-Schlucht. Unser Land hat so viel zu bieten. Es wäre doch schade, wenn die Touristen nur Kotor kennenlernen würden.“
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